Herr Hager
Lehrer für Geschichte, Philosophie und Deutsch als Zweitsprache
 
 

Max Gallo: Robespierre

hg. u. mit einem Nachwort v. Daniel Schönpflug und Peter Schöttler, Stuttgart 2007


Max Gallos Robespierre-Biographie, die erstmals 1968 unter dem Titel "L'homme Robespierre. Histoire d'une solitude" erschien, liegt nun in einer neuen deutschen Übersetzung vor.

Diese Studie ist keine geschichtswissenschaftliche Biographie im gewohnten Sinne, sondern vielmehr mit dem Anspruch verknüpft, die komplexe Psyche eines Menschen zu analysieren, um so ein Verständnis für seine Persönlichkeit zu erlangen. Sie ist das Psychogramm eines Monstrums!

Die Neuausgabe ist mit einem Nachwort versehen, das lieber ein Vorwort hätte sein sollen und daher empfehle ich dem Leser das Buch sozusagen von hinten aufzuzäumen. Auf ähnliche Weise verfährt schließlich auch Gallo, der zuerst das ruhmlose Ende seines "Helden" schildert.

Erst nach der Lektüre des Nachworts, welches einen Überblick über die Robespierre-Forschung und den Versuch einer Einordnung Gallos Beitrag bietet, lässt sich die hier vorliegende Biographie mit Gewinn lesen. D. h. nicht, dass das behandelte Thema in verworrener Weise oder unverständlich präsentiert worden wäre: ganz im Gegenteil. In streng chronologischer Weise begleitet Gallo Robespierre von der Wiege bis zum Schafott, aus der Enge seiner Heimat auf die Pariser Weltbühne.

Um jedoch die Geschichte dieses Mannes, die Faszination aber auch den Ekel den seine Persönlichkeit hervorruft, verstehen zu können, braucht man diese wichtigen Vorinformationen. In Frankreich ist die Beschäftigung mit dem Lebenslauf Maximilien-François-Marie-Isidore de Robespierre schließlich immer noch ein Politikum.

Den Keim für Robespierres nazistisches Wesen, seinen Tugendfanatismus und Kompromisslosigkeit sieht Gallo in dessen Kindheit und Jugend. Den Verlust seiner Mutter nicht verkraftend sah sich Robespierre nachdem auch sein Vater gestorben war, der der Familie nur Schande und Elend brachte, in einer Rolle, der er nicht gewachsen war. Die Verantwortung nun für die Geschwister ein leuchtendes Vorbild zu sein, quasi Elternersatz, führte ihn in eine gefühlsmäßige Vereinsamung. Sein Leben enthielt nur noch Pflicht und Tugend und dadurch verwandelte er sich in das Monster Robespierre.

Gallo schildert ihn nicht als blutrünstiges, gewalttätiges Monster, sondern als steriles, fast mechanisches Ungeheuer, dem die Nähe anderer Menschen zur Qual wurde, der in jeder politischen Gegnerschaft eine persönliche Feindschaft ausmachte und der überzeugt war, allein im Besitz der Wahrheit zu sein. Diese Selbstüberschätzung wird in der Verehrung des "Höchsten Wesens", bei der sich Robespierre selbst zum Hohepriester macht am deutlichsten (S. 246ff). Eine tatsächliche Persönlichkeit lässt sich anhand Gallos Studie bei Robespiere nicht erkennen. Der Mann hat keine Schwächen, keine Fehler und schon gar keine Laster. Die Gefühlskälte dieses Revolutionärs lässt auch beinahne den Rezensenten seinen Kopf fordern: Nieder mit dem Tyrannen!

Doch das ist nicht die Einschätzung Gallos. Er verurteilt Robespierre nicht, weder für seine Taten noch für seine Psyche, die er so detailgenau offenlegt. Gallo bezieht keine Stellung, jedenfalls nicht die Stellung anderer, und gleicht damit auf bestimmte Weise seinem Betrachtungsgegenstand.

Diese "Nichtpositionierung" bestätigen auch die Herausgeber: "Gallo, ..., saß im Kontext der Robespierreforschung also zwischen allen Stühlen." (S.269) D. h. jedoch nicht, dass seine Beitrag uninteressant ist, sondern, dass er sich nicht für die eine oder andere politische Forschungsrichtung vereinnahmen ließ. Das macht das Buch jedoch nicht uninteressant.
Gallos Untersuchung folgt vielmehr dem Konzept Plutarchs (Alexander 1):

"Wie nun die Maler die Ähnlichkeit dem Gesicht und den Zügen um die Augen entnehmen, in denen der Charakter zum Ausdruck kommt, und sich um die übrigen Körperteile sehr wenig kümmern, so muss man es mir gestatten, mich mehr auf die Merkmale des Seelischen einzulassen und nach ihnen das Lebensbild eines jeden zu entwerfen, die große Dinge und die Kämpfe aber anderen zu überlassen."*

Maik Hager (2007)

 

* Plutarch, Große Griechen und Römer, übers. v. Konrat Ziegler, Bd. 5., München 1980, S. 7.