Herr Hager
Lehrer für Geschichte und Philosophie
 
 

"Können Sie mir das bitte erklären?"


Immanuel Kant, Gemälde von Johann Gottlieb Becker, 1768Ein fiktives Interview mit dem Philosophen Immanuel Kant anlässlich seines 300. Geburtstags
 
von Sophie H., 22.04.2024*

 

Sophie: Guten Tag Herr Professor Kant und herzlichen Glückwunsch zu Ihrem 300. Geburtstag. Vielen Dank, dass Sie an Ihrem Ehrentag Zeit für dieses Interview gefunden haben.


Kant: Guten Tag Sophie und vielen Dank für die Glückwünsche. Das ist tatsächlich mein erstes Interview. So etwas habe ich noch nie gemacht. Ich fühle mich sehr geehrt über so viel Aufmerksamkeit.


Sophie: Nun ja, Herr Professor Kant, Sie sind schließlich ein berühmter Mann. Ihre Theorien werden an Universitäten und in Schulen auf der ganzen Welt gelehrt. Ihre Schriften sind in zahlreiche Sprachen übersetzt worden. Da wird es doch mal Zeit für ein Gespräch mit der Person selbst.


Kant: Oh, dass ich so berühmt bin, wusste ich gar nicht. Nun ja, als ich noch in Königsberg gelebt und gearbeitet habe, hatte ich in der Welt der Philosophie schon einen gewissen Ruf, der nicht ganz unumstritten war, aber dass meine Lehren und Schriften so weite Verbreitung gefunden haben, dass sie auch im Schulunterricht behandelt werden, freut mich sehr.


Sophie: Wenn es um Philosophie geht, kommt man an Kant nicht vorbei. Ihre Definition der Idee der Aufklärung, die Sie in Ihrem Essay von 1784 dargelegt haben, wird immer wieder zitiert.


Kant: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. […]“. Ja, ich erinnere mich. Ich hoffe, dass Sie nicht nur die Einleitung, sondern die ganze Schrift gelesen haben.


Sophie: Klar hab‘ ich das. Das Essay gibt es tatsächlich komplett und kostenlos im Internet.


Kant: Internet? Davon habe ich noch nie gehört. Das müssen Sie mir bei Gelegenheit mal erklären. Soweit ich mich aber erinnern kann, wollten Sie mit mir über ein anderes Thema sprechen.


Sophie: Oh, ja … genau.


Kant: Nun?


Sophie: Ja genau … Herr Kant, Sie haben in Ihrer Schrift "Kritik der reinen Vernunft" von 1781 folgende Begriffe unterschieden: Meinen definieren Sie als ein sowohl subjektiv als objektiv unzureichendes Fürwahrhalten. Glauben nennen Sie ein Fürwahrhalten, das nur subjektiv zureichend und zugleich für objektiv unzureichend gehalten wird.
Schließlich bestimmen Sie Wissen als ein sowohl subjektiv als objektiv zureichendes Fürwahrhalten. Das habe ich nicht verstanden. Können Sie mir das bitte erklären?


Kant: Gerne. Es handelt sich hier um drei Ausdrucksweisen, mit denen man deutlich machen kann, in welcher Weise man etwas für wahr hält. Meinen und Wissen z. B. unterscheiden sich da sehr.


Sophie: Aha! Wie denn?

 

Kant: Ich kann von etwas nur behaupten, dass ich es weiß, wenn es tatsächlich so ist und wenn ich mir gewiss bin, dass es so ist. Das Wissen hat also einen objektiven Geltungsanspruch und ist verbunden mit einer subjektiven Gewissheit. Wenn jemand dagegen über einen Sachverhalt sagt - „Ich meine...“ - behauptet er nicht, dass es tatsächlich so ist. Er ist sich subjektiv auch nicht sicher, ob es stimmt, er vermutet es aber. Also liegt hier eine subjektive Gültigkeit verbunden mit subjektiver Ungewissheit vor.


Sophie: Verstehe. Und wie unterscheiden sich dann Meinen und Glauben?


Kant: Nun ja, da müssen wir vorsichtig sein. Beides wird in der Umgangssprache oft verwechselt, aber streng genommen besteht ein erheblicher Unterscheid zwischen Meinen und Glauben.


Sophie: Ach so?


Kant: Allerdings! Wenn ein religiöser Mensch jemandem sagt, er glaubt etwas, dann will er damit ausdrücken, dass er es subjektiv für wahr hält, auch wenn es sich objektiv nicht als wahr beweisen lässt. Glaubenssätze sind also im Unterscheid zu Meinungen durch subjektive Gewissheit gekennzeichnet. Von Wissenssätzen unterscheiden sie sich dadurch, dass ihnen keine objektive Gültigkeit zukommt. Oft beziehen sich Glaubenssätze ja auf Gegenstände, die sich dem Wissen entziehen.


Sophie: Vielen Dank Herr Kant, ich glaube … nein … ich weiß, dass ich jetzt verstanden habe, worauf Sie hinauswollen.


Kant:
Freut mich sehr, dass ich Ihnen helfen konnte.

 

* Autor: Maik Hager / Die Idee zu diesem Text beruht auf einer Vorlage von Bernd Rolf (siehe: LebensWert 3 neu, Bamberg 2022, S. 143).