"Können Sie mir das bitte erklären?"
Ein
fiktives Interview mit dem Philosophen Immanuel Kant anlässlich seines
300. Geburtstags
von Sophie H., 22.04.2024*
Sophie: Guten Tag Herr Professor Kant und herzlichen Glückwunsch zu Ihrem 300. Geburtstag. Vielen Dank, dass Sie an Ihrem Ehrentag Zeit für dieses Interview gefunden haben.
Kant: Guten Tag Sophie und vielen Dank für die
Glückwünsche. Das ist tatsächlich mein erstes Interview. So etwas habe
ich noch nie gemacht. Ich fühle mich sehr geehrt über so viel
Aufmerksamkeit.
Sophie: Nun ja, Herr Professor Kant, Sie sind
schließlich ein berühmter Mann. Ihre Theorien werden an Universitäten
und in Schulen auf der ganzen Welt gelehrt. Ihre Schriften sind in
zahlreiche Sprachen übersetzt worden. Da wird es doch mal Zeit für ein
Gespräch mit der Person selbst.
Kant: Oh, dass ich so berühmt bin, wusste ich gar
nicht. Nun ja, als ich noch in Königsberg gelebt und gearbeitet habe,
hatte ich in der Welt der Philosophie schon einen gewissen Ruf, der
nicht ganz unumstritten war, aber dass meine Lehren und Schriften so
weite Verbreitung gefunden haben, dass sie auch im Schulunterricht
behandelt werden, freut mich sehr.
Sophie: Wenn es um Philosophie geht, kommt man an
Kant nicht vorbei. Ihre Definition der Idee der Aufklärung, die Sie in
Ihrem
Essay von 1784 dargelegt haben, wird immer wieder zitiert.
Kant: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen
aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das
Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu
bedienen. […]“. Ja, ich erinnere mich. Ich hoffe, dass Sie nicht nur
die Einleitung, sondern die ganze Schrift gelesen haben.
Sophie: Klar hab‘ ich das. Das Essay gibt es
tatsächlich komplett und kostenlos im Internet.
Kant: Internet? Davon habe ich noch nie gehört.
Das müssen Sie mir bei Gelegenheit mal erklären. Soweit ich mich aber
erinnern kann, wollten Sie mit mir über ein anderes Thema sprechen.
Sophie: Oh, ja … genau.
Kant: Nun?
Sophie: Ja genau … Herr Kant, Sie haben in Ihrer
Schrift "Kritik der reinen Vernunft" von 1781 folgende Begriffe
unterschieden: Meinen definieren Sie als ein sowohl subjektiv als
objektiv unzureichendes Fürwahrhalten. Glauben nennen Sie ein
Fürwahrhalten, das nur subjektiv zureichend und zugleich für objektiv
unzureichend gehalten wird.
Schließlich bestimmen Sie Wissen als
ein sowohl subjektiv als objektiv zureichendes Fürwahrhalten. Das
habe ich nicht verstanden. Können Sie mir das bitte erklären?
Kant: Gerne. Es handelt sich hier um drei
Ausdrucksweisen, mit denen man deutlich machen kann, in welcher Weise
man etwas für wahr hält. Meinen und Wissen z. B. unterscheiden sich da
sehr.
Sophie: Aha! Wie denn?
Kant: Ich kann von etwas nur behaupten, dass ich es weiß, wenn es tatsächlich so ist und wenn ich mir gewiss bin, dass es so ist. Das Wissen hat also einen objektiven Geltungsanspruch und ist verbunden mit einer subjektiven Gewissheit. Wenn jemand dagegen über einen Sachverhalt sagt - „Ich meine...“ - behauptet er nicht, dass es tatsächlich so ist. Er ist sich subjektiv auch nicht sicher, ob es stimmt, er vermutet es aber. Also liegt hier eine subjektive Gültigkeit verbunden mit subjektiver Ungewissheit vor.
Sophie: Verstehe. Und wie unterscheiden sich dann
Meinen und Glauben?
Kant: Nun ja, da müssen wir vorsichtig sein.
Beides wird in der Umgangssprache oft verwechselt, aber streng
genommen besteht ein erheblicher Unterscheid zwischen Meinen und
Glauben.
Sophie: Ach so?
Kant: Allerdings! Wenn ein religiöser Mensch
jemandem sagt, er glaubt etwas, dann will er damit ausdrücken, dass er
es subjektiv für wahr hält, auch wenn es sich objektiv nicht als wahr
beweisen lässt. Glaubenssätze sind also im Unterscheid zu Meinungen
durch subjektive Gewissheit gekennzeichnet. Von Wissenssätzen
unterscheiden sie sich dadurch, dass ihnen keine objektive Gültigkeit
zukommt. Oft beziehen sich Glaubenssätze ja auf Gegenstände, die sich
dem Wissen entziehen.
Sophie: Vielen Dank Herr Kant, ich glaube … nein
… ich weiß, dass ich jetzt verstanden habe, worauf Sie hinauswollen.
Kant: Freut mich sehr, dass ich Ihnen helfen konnte.
* Autor: Maik Hager / Die Idee zu diesem Text beruht auf einer Vorlage von Bernd Rolf (siehe: LebensWert 3 neu, Bamberg 2022, S. 143).