"..., denn ich führe sie und bringe sie zu erfrischenden Quellen, weil ich es gut mit ihnen meine."1
Eine kleine Begriffskunde
In
den letzten Wochen bin ich in der Schule des Öfteren mit dem Begriff
Quelle konfrontiert worden. Bei Handouts zu Referaten und unter
schriftlichen Hausarbeiten tauchte dieses Wort immer wieder auf.
Natürlich ist hier nicht die
Flussquelle gemeint, schließlich ging es nicht um Erdkunde oder
Biologie, sondern um Platon, Aristoteles, die Akropolis, den Rat der
Europäischen Union, das Europäische Parlament usw.
Die Angaben,
die unter der Überschrift Quellen gemacht wurden, bezogen sich dabei
auf Artikel aus der
Wikipedia oder
anderen Wörterbüchern, auf fachwissenschaftliche Aufsätze aus den
Informationen zur
politischen Bildung und auf Verfassertexte aus Schulbüchern.
Mit der vollen Inbrunst der Überzeugung sagten die Schüler mir,
dass man das so machen müsse und dass es von den Kolleginnen und
Kollegen auch so gefordert sei. "Ihr müsst eure Quellen angeben!"
Nur wenigen Kolleginnen und Kollegen - zumal sie fachfremd sind -
scheint bekannt zu sein, dass es sich bei dem Begriff Quelle um einen
geschichtswissenschaftlichen Fachbegriff handelt. Schon in
Geschichtsbüchern der Mittelstufe wird zwischen Verfassertexten (VT)
und Quellen (Q) unterschieden. Die einen sind das Produkt
fachwissenschaftlicher bzw. fachdidaktischer Arbeiten, die anderen
sind vor allem schriftliche Zeugnisse der Vergangenheit, aber auch
Sachzeugnisse wie z. B. Bauwerke, Münzen, Schmuck, Malereien,
Skulpturen und Gebrauchsgegenstände.
Wenn sich also eine
Schülerin oder ein Schüler mit dem antiken Athen beschäftigt hat, kann
sie bzw. er dazu Quellen studiert haben, z. B. den Staat der Athener
von
Aristoteles oder auch
Platons Werk über den Staat.
Meistens wird er jedoch auf
fachwissenschaftliche bzw. fachdidaktische Darstellungen
zurückgreifen, die die Thematik anschaulicher vermitteln können - was
ja keine Schande ist. So machen es ja schließlich Studierende und
Lehrer auch.
Die klare Unterscheidung zwischen Quellen und
Darstellungen, ihr Zustandekommen, ihr Inhalt und der Umgang mit
ihnen, muss jedoch klar vermittelt werden.
Quellen müssen
systematisch analysiert und gedeutet (aufgearbeitet) werden. In den
seltensten Fällen lassen sich aus ihnen direkt Sachinformationen
entnehmen, da sie meist wertenden, vielfach auch manipulierenden
Charakter haben (z. B. erzählende Quellen wie Geschichtsschreibungen).
Quellen erschließen sich ohne vorherige Information über Darstellungen
gar nicht.
Wenn man diese Unterschiede der Kategorien nicht
klar und deutlich vermittelt bzw. von den Schülern erarbeiten lässt,
werden sie nie verstehen, warum man unter ein Handout nicht
"Quellen:", sondern "Literatur:" bzw. "Literaturverzeichnis:"
schreibt.
Noch komplizierter wird die Angelegenheit übrigens,
wenn man den Unterschied zwischen primären und sekundären Quellen
klären möchte. Schließlich sind Aristoteles' Ausführungen über die
solonischen Reformen keine zeitgenössische Geschichtsschreibung.
Doch das ist ein ganz anderes Problem.
Wer sich noch etwas
ausführlicher mit dem Thema beschäftigen möchte, sollte sich in die u.
g. Literatur einarbeiten oder sich dieses sehr informative Video mit
der Leitfrage
"Was sind historische Quellen?" (segu, Modul 901, Historisches
Institut Universität Köln) ansehen.
Herr Hager (2010)
Abbildung: Jean Auguste Dominique Ingres (1780-1867), La source,1820-1856, Öl auf Leinwand, Paris, Musée d'Orsay © Erich Lessing