Denkimpulse zur Verwendung von
Karikaturen im
Geschichtsunterricht
1. Historischer Überblick und Systematisierung:
a) Historischer Überblick:
Die Karikatur als Mittel zur Bloßstellung und Möglichkeit zur pointierten Meinungsäußerung erfreut sich ungebrochenen Beliebtheit. In vielen Printmedien ist sie vertreten, satirische Zeitschriften wie Titanic oder Eulenspiegel setzen die Tradition des Simplicissiumus oder Kladderadatsch fort und manche Karikaturen lösen auch heute noch kontroverse Debatten aus (Stichwort Karikaturenstreit).
Die Verbreitung der Karikatur steht im Gegensatz zur sehr kurzen Geschichte des Begriffs. In den deutschen Sprachgebrauch gelangte er um 1760 über das italienische Wort caricatura (Überladung, Übertreibung) und wurde der Fachsprache der Malerei entlehnt. Der Begriff Karikatur wurde jedoch im allgemeinen Sprachgebrauch erst im 19. Jahrhundert synonym für die bis dahin geläufigeren Ausdrücke Zerr- bzw. Spottbild verwendet.
Die Karikatur in ihrem Sinn und Zweck blickt auf eine lange Tradition zurück. Bereits frühe ägyptische Papyri (zur Zeit Ramses III, 1197-1165 v. Chr.), aber auch die griechische und römische Kunst bieten Beispiele.
Im Mittelalter fanden karikierende Darstellungen auch in gegenständlicher Form ein größeres Publikum. Plastiken über Kirchenportalen, die Dämonen- und Teufelsfratzen zeigten, dienten als Mittel der Erziehung und Unterdrückung. Die Kirche als realpolitische Macht nutzte diese Mittel zur Ermahnung der Gläubigen. Als „politische Kampfmittel“ zwischen Kirche und Kaiser dienten sie zur öffentlichen Anprangerung des Fehlverhaltens der Mächtigen. Die Karikaturen des Mittelalters sind Typenkarikaturen und hatten die Funktion öffentlicher Schand- und Spottbilder.
Mit dem Aufkommen der Papierfabrikation im 15. Jh., dem Papierabzug vom Holzschnitt, dem Kupferstich und der Erfindung des Buchdrucks steht die massenhafte Verbreitung karikierender Darstellung im engen Zusammenhang. Das „aktuelle Flugblatt“ versuchte besonders durch bildliche Darstellungen, Inhalte der großen Zahl der Analphabeten verständlich zu machen. Der Kampf der Reformation erweiterte das Einsatz- und Bedeutungsspektrum der Karikatur: nicht mehr nur allgemeine Typenkarikatur, sondern auch gezielte parteiliche Hassbilder, besonders gegen den Papst aber auch gegen Luther, fanden große Verbreitung. Die „parteiliche Kampfkarikatur“ war das Mittel zur ideologisch religiösen Auseinandersetzung.
Die hohe ökonomische Entwicklung Oberitaliens bewirkte unter anderem auch eine Blüte der Künste, besonders italienische Künstler zeigten ein großes Interesses am Experimentieren. Die Gebrüder Carracci begründeten in ihrer „Schule der auf den rechten Weg Geleiteten“ (1582) die Technik der Portraitkarikatur. Die Formexperimente italienischer Künstler beeinflussten in späterer Zeit maßgeblich die europäischen Karikaturisten. Mit der Herausbildung des absolutistischen Staates und dem Kampf um die europäische Vorherrschaft im Dreißigjährigen Krieg (1618-48) war die Bevölkerung jedoch nicht für den satirischen Spott der Karikatur zugänglich.
Im 17. Jh. gelangte die Karikatur zunächst in den Niederlanden wieder zur Blüte, nach der Loslösung von Spanien wurde das Bürgertum die führende politische Macht. Besonders im wirtschaftlichen Kampf gegen England und gegen die Eroberungspläne Ludwigs XIV. erhielt die Karikatur neue Anstöße.
Im 18. Jahrhundert wurde England Heimat der sozialen und politischen Karikatur. Auch hier hatte sich mit der Glorreichen Revolution (1688) das Bürgertum seine politischen Rechte sichern können. Das Recht auf freie Meinungsäußerung in Wort, Schrift und Bild gab auch der Satire Aufschwung. Die Karikatur wurde zur Ware, denn geschäftige Verleger wussten ihre Beliebtheit zu nutzen.
Im 19. Jahrhundert trugen die antinapoleonischen englischen Karikaturen dazu bei, auch in den deutschen Staaten die politische Karikatur aufleben zu lassen. Nach der napoleonischen Ära - in der 1. Hälfte des 19. Jh. gründete Philipon die Zeitschrift „La Caricature“ (1830) - war die Popularität der Karikatur sehr hoch, denn sie vertrat die Interessen des französischen Volkes gegen den Bürgerkönig Louis Philippe und die Finanzaristokratie. Der Begriff wurde zum Schlagwort. Dies regte in der Folgezeit auch im Ausland die Gründung satirischer Zeitschriften an, z.B. „Punch“ (England), „Freikugeln“ (Leipzig), „Kladderadatsch“ (Berlin 1848) u. a.. Doch mit den Scheitern der Revolution von 1848/49 und der deutschen Reichsgründung kam auch hier bald das Ende der kritischen politischen Karikatur. Die Blätter wurden verboten oder eingestellt, konnten nur noch unter strengen Reglementierungen (Zensur) erscheinen.
Das 20. Jahrhundert ließ mit der fortschreitenden Demokratisierung in den meisten Ländern der sich entwickelnden Welt die Karikatur wieder aufleben, aber auch in totalitäre Staaten, z. B. in Deutschland unter der Hitlerdiktatur, wurden sie als Propagandamittel eingesetzt. Selbst heute genießt die Karikatur nicht überall Narrenfreiheit, jedoch ermöglicht es die Massenkommunikation sowohl den Lokalpolitiker als auch die ganze Welt aufs Korn zu nehmen. In Zeiten der Globalisierung wird die Karikatur auch neudeutsch als Cartoon bezeichnet (Exkursionstipp: Cartoonfabrik Berlin).
b) Systematisierungsvorschlag
Ausgehend von den in der frühen Neuzeit im deutschsprachigen Raum verwendeten Begriffe Zerrbild und Spottbild und deren Bedeutungsunterschied lässt sich eine erste grobe Strukturierung vornehmen.
Das Zerrbild lässt sich als „absichtlich verzerrtes Spiegelbild“ von Personen und deren Eigenschaften beschreiben, weist also Individualcharakter auf. Dem Spottbild dagegen wird eine typenbildende Bedeutung für Gruppen und Institutionen (z. B. der bärtige, turbantragende und in lange Gewänder gekleidete Mann als Spottbild des islamistischen Terroristen) zugesprochen.
Eine umfassendere und detailliert-zweiteilige Systematisierung entwirft z.B. W. Marienfeld [1]. Hier wird eine Systematisierung nach formaler Darstellungsstruktur und inhaltlicher Objektstruktur vorgenommen und die zeitliche Ebene mit der Objektstruktur verbunden. Auf der Grundlage dieser Systematisierung, die das weite Spektrum der Karikaturen zu gliedern versucht, entwirft Marienfeld folgende "Matrix":
I. Die apersonale Sachkarikatur:
Die Sachkarikatur
bedient sich keiner personalen Darstellung, sondern stellt ihre
Aussagen mit Hilfe von Sachen oder Gegenstände dar, die sich aber für
den Betrachter u. U. auch personal übersetzen lassen. Die
Sachkarikatur tritt verhältnismäßig selten auf.
>>> Beispiel
II. Die personale Typenkarikatur:
Sie bedient sich der
Stilisierung von handelnden Einheiten, z. B. Staaten, Völkern, soziale
Gruppen, Institutionen und Verbände auf einen Individualtypus, dessen
Ausstattungsmerkmale Rückschlüsse auf die betreffende Einheit
zulassen. Die Typenkarikatur hatte früher, als die Kenntnis
individueller Gesichtszüge wenig verbreitet war, eine deutlich größere
Verbreitung. >>> Beispiel
III. Die personale Individualkarikatur:
Dieser formale
Typus hat mit der Ausbreitung der modernen Massenkommunikation die
größte Verbreitung gefunden. Der hohe Bekanntheitsgrad der
individuellen Gesichtszüge politisch Verantwortlicher, Gestalt- oder
Kleidungsmerkmale gewährleisten einen hohe
Wiedererkennungswahrscheinlichkeit, so dass ein spezielle Benennung
überflüssig wird. Oft kann es geschehen, dass zur Identifikation einer
Person verwendete Merkmale sich verselbständigen (Genschers Ohren,
Waigels Augenbrauen, Merkels Frisur o. ä.).
>>> Beispiel
A) Die Ereigniskarikatur:
Sie bezieht sich auf ein
punktuelles Geschehen im historischen Prozess, ein Tagesereignis, ein
Ereignis von unmittelbarer, zeitlich begrenzter Aktualität.
>>> Beispiel
B) Die Prozesskarikatur:
Sie hebt auf geschichtliche
Verläufe ab, will Wandel zum Ausdruck bringen, Wendepunkte
hervorheben, Aufstieg und Abstieg kennzeichnen, Vorher und Nachher,
Intension und Ergebnis, Idee und Wirklichkeit hervorheben. Sie bedient
sich dabei oft zwei- oder mehrgliedriger Bilderfolgen und hat meist
einen regressive Blickrichtung, schaut von der Gegenwart in die
Vergangenheit zurück. Aber auch die umgekehrte Blickrichtung ist
möglich. Ein sehr bekanntes und überaus interessantes Beispiel für
eine progressive Prozesskarikatur ist folgendes Beispiel von Hanns
Erick Köhler (H-E-K, 1905-1983) aus dem Jahr 1949:
1945
stehen sich zwei abgemagerte und zerlumpte (Not) Michel (Attribut
Zipfel- bzw. Schlafmütze) gegenüber. Ihre Tabakpfeifen (Gemütlichkeit,
Genuss) haben sie in die Taschen ihrer geflickten Jacken (Not)
gesteckt. Beide haben die Arme weit nach vorne gestreckt, doch sie
können sich nicht errechen, da sie durch eine kleine,
stacheldrahtbewehrte Mauer (Westzonen/SBZ) voneinander getrennt sind.
Einstimmig rufen sie einander zu "Bruder!!". In ihren vom Hunger
ausgezehrten (Not) Gesichtern steht die Verzweiflung.
1955 können
sich die beiden Michel, die inzwischen etwas gesetzter und
wohlgenährter sind, sich nicht mehr sehen, da die stacheldrahtbewehrte
Mauer inzwischen ihnen erheblich gewachsen und massiver geworden ist
(1949 Staatsgründungen BRD/DDR). Sie sitzen, jeweils auf ihrer Seite,
an einem Schreibtisch und sind im Begriff an den jeweils anderen einen
Brief zu schreiben, der mit der Zeile "Mein lieber Vetter!" beginnt.
Die beiden Männer sind inzwischen auch besser gekleidet, rauchen
wieder Pfeife und bringen durch die Gestaltung ihrer Zipfelmützen ihre
politische Zugehörigkeit ("Stars and Stripes" im
Demokratie/Kapitalismus und Hammer und Sichel im Osten -
Sozialismus-Kommunismus/Planwirtschaft) zum Ausdruck. Die
unterschiedlich Ausstattung ihrer Schreibzimmer weist auf die
Unterschiedlichkeit der Versorgungslage hin.
1965 ist die Mauer
zwischen den beiden Männer, die nun kaum noch als deutsche Michel
wiederzuerkennen sind, noch dicker und höher geworden. Sie reicht bis
an den oberen Bildrand des dritten Bildes. Die beiden älteren
wohlbeleibten Männer haben es sich in ihren Sesseln, die mit dem
Rücken zur Mauer stehen, bequem gemacht. Das Rauchen heben beide nicht
aufgegeben - im Westen ist es inzwischen eine Zigarre, im Osten wird
immer noch Pfeife geraucht. Inzwischen sind die beiden Männer
Großväter und berichten ihren Enkeln. "Ach, ja - Wir haben irgendeinen
entfernten Verwandten im Ausland."
Das Mauermotiv in Köhlers Karikatur ist - auf ihre Entstehungszeit
gesehen - ein bemerkenswertes zeitgeschichtliches Dokument. Der
Karikaturist hat mit diesem gezeichneten Kommentar zur deutschen
Nachkriegszeit und zweifachen Staatsgründung eine erstaunliche
politische Weitsicht bewiesen.
C) Die Zustandskarikatur:
Sie nimmt aktuelle Anlässe auf, ist aber bemüht, von ihnen aus
dauerhafte Strukturen zu kennzeichnen, wenig wandelbare
Grundverhältnisse aufzuzeigen. Hierhin gehören auch
Panoramakarikaturen, die einen über die Tagespolitik hinausreichende,
allgemeine und längerfristige politische Lage kennzeichnen wollen.
>>> Beispiel
Diese Systematisierung ließe sich sicherlich
noch weiter verfeinern und aufgliedern. Für den didaktischen Gebrauch
ist sie jedoch völlig ausreichend. Bei ihrer Anwendung muss, dies
deutet bereit die oben angeführte "Matrix" an, beachtet werden, dass
sich Karikaturtypen miteinander vermischen können. So können sich z.
B. Individual- und Typenkarikatur miteinander vermischen. Schließlich
ist bei allen Typisierungs- und Kategorisierungsversuchen zu bedenken,
dass sie quasi von außen herangetragen sind und nicht im Vorhinein das
Werk des Künstlers bestimmt haben.
2. Stilmittel, Funktion und Verwendung von Karikaturen
a) Die Stilmittel der Karikatur nach W. Marienfeld und D. Grünewald
Nach Marienfeld [2] arbeitet die politische Karikatur hauptsächlich mit dem Mittel der Verfremdung. Durch Ähnlichkeit, Bildsymbolik und teilweise auch Text wird ein bekannter Sachverhalt in die Verfremdungsebene eingeführt, bleibt in dieser jedoch erkennbar, wird oftmals sogar augenscheinlicher.
Neben dem „notwendigen“ Stilmittel der Verfremdung können noch weitere Stilmittel beschrieben werden. Die Beziehung zwischen Bild und Text kann als solche bezeichnet werden, da sehr viele Karikaturen auch ohne Text auskommen. Auch die Übertreibung ist ein nicht notwendiges Stilmittel, viele Karikaturen weisen ein hohes Maß an Realismus (auch im zeichnerischen Sinne) auf oder sind Fotomontagen. Sogar die Komik kann in diese Kategorie eingeordnet werden, da sie nur als Folge der Verfremdung den Betrachter zum Lachen bringt. Viele Karikaturen haben jedoch nicht den Anspruch zu amüsieren, sondern zu erschrecken oder zu schockieren.
Grünewald dagegen nimmt eine alternative Einteilung von Karikaturstilen vor. Unter Stil werden hier die charakteristischen Merkmale von Kunstwerken, z. B. einer Epoche oder einer Künstlerpersönlichkeit, zusammengefasst. Er betont ausdrücklich, dass eine Stilanalyse für den Schulunterricht deshalb wichtig sei, "weil der Stil mehr ist als nur eine formal-ästhetische Information bzw. persönliches Erkennungszeichen" [3]. Es wird zwischen dem dynamischen, dem kurzschriftartigem, dem ästhetisch-betonten, dem grotesk-verwirrenden, dem naturalistischen Stil und der Fotosatire unterschieden. Mit Hilfe der Stilanalyse können Aussagen über das Programm, die inhaltliche Tendenz, die Parteilichkeit einer satirischen Zeitschrift oder eines Karikaturisten getroffen werden.
b) Funktion, Aufgabe und Wirkung der Karikatur
Es stellt sich nun im Allgemeinen die Frage, welche Intension die (politische) Karikatur verfolgt und welche Bedeutung ihr zuzumessen ist. Die Karikatur versucht im weitesten Sinne aufzudecken, sie versucht einer oft verborgenen Wahrheit eines Vorgangs oder einer Situation näher zu kommen. Sie ist kein Abbild, sondern ein Sinnbild, sie ist keine reine Beschreibung eines Sachverhalts, sondern ein konkretes Urteil zur Anschauung gebracht. Die Frage nach der "Macht“ der Karikaturen lässt sich nur schwer eindeutig beantworten. Oft lösen sie zwar eine starke Reaktion beim einzelnen Betrachter aus, ihre Wirkungsmöglichkeit im größeren Zusammenhang wird jedoch skeptisch eingeschätzt. Der Versuch einer Karikatur, z. B. eine Person lächerlich zu machen, kann auf der einen Seite Erfolg haben, trägt aber auf der anderen Seite auch zur Popularität der betroffenen Person bei. Für sich genommen wird die Karikatur kaum politisches Handeln auslösen, d.h. sie wirkt nicht direkt, wohl aber kann sie unbewusst wirken, Tendenzen neuen Anstoß geben oder andere Blickrichtungen aufzeigen.
c) zur Verwendung der Karikatur im Geschichtsunterricht
In der einschlägigen Literatur zum Thema "Karikatur im Unterricht“ wird konstatiert, dass die Karikatur seit langen ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil der Medien (im Sinne von Informationsmedien des Alltags) geworden ist, auch Heribert Sangs [4] kommt zu dieser Feststellung. Gleichzeitig zeigt er jedoch auf, dass sie im Unterricht viel zu wenig genutzt wird und eher ein „Randdasein“ führt. Bei der immensen Bedeutung und möglichen Wirkung auf die Schüler, die er an etwas späterer Stelle (S. 13) darlegt, gelangt er jedoch lediglich zu der Feststellung: „Es scheint hier geradezu dem Standardrepertoire eines 'guten' Referendars angemessen, hin und wieder Karikaturen in seinen Unterricht einzubeziehen.“ Es bleibt zu Hoffen, dass diese Medienarbeit sich nicht nur auf das Referendariat beschränkt und ich bin mir sicher, dass viele Kollegen, die an abwechslungsreicher Medienarbeit interessiert sind, auch zum Bildmedium Karikatur greifen.
Zur möglichen Wirkung bemerkt Sangs, dass die Karikatur aufgrund ihrer Vielseitigkeit sich ausgesprochen gut dazu eigne, den Unterricht lebendiger zu gestalten und die Schüler zu Stellungnahmen und Diskussionen zu reizen. Nicht nur emotionale Reaktionen, sondern auch Einsichtsprozesse würden hervorgerufen werden und gefördert werden.
Die Erarbeitung von Karikaturen im Unterricht sollte durch die Einführung einer mehrschrittigen Analyse- bzw. Interpretationsmatrix vorbereitet werden. Die didaktische Literatur bieten eine Fülle unterschiedlich ausdifferenzierter Matrizen (z. B. Uppendahl, in: Handbuch Medien (1985), S. 471; Forum Geschichte, Bd. 3, S. 103; Praxis Geschichte, 1/2004, S. 6; Stutz, Bearbeitungsmethoden). Die didaktische-methodische Analyse der zur Verfügung stehenden Interpretationsmatrizen dient im Vorfeld zur Anbindung an die kompetenzorientierte Unterrichtsplanung. Ergänzung oder Schwerpunktsetzung im Bereich einzelner Analyseschritte kann zur Forderung unterschiedlicher fachlicher Kompetenzen genutzt werden. Die Einführung der gewählten Matrix sollte anhand einer aktuellen oder bereits anhand einer in den unterrichtlichen Rahmen passenden Beispielkarikatur durchgeführt werden. Die erste Variante dient dabei zur Einführung des Mediums überhaupt, die zweite Variante kann die Schüler zur Vorbereitung vertiefender Arbeit mit bestimmten Bildelementen (Symbole, Zeichen, Allegorien, Objekte u. ä.) vertraut machen, die dann im weiteren Unterrichtsverlauf aufgegriffen werden können.
3. Vorschlag zur methodischen Arbeitsweise mit Karikaturen im Geschichtsunterricht
Es ist erfreulich, dass es inzwischen doch eine größere Zahl von Veröffentlichungen zum Thema „Karikatur im Unterricht“ gibt. Dennoch muss vielerorts noch Arbeit geleistet werden, um den praktischen Umgang mit diesem Medium zu fördern. Der bloße Abdruck politischer Karikaturen in Schulgeschichtsbüchern entbindet den Lehrenden nicht von einer sachgemäßen didaktischen Analyse des Mediums und der Methode. Möglicherweise kann es auch sinnvoll erscheinen, eine andere, aussagekräftigere Karikatur zu verwenden oder die im Schulbuch vorhandene aus dem Textzusammenhang zu nehmen, da z. B. eine von den Schulbuchautoren hinzugefügte "erklärende" Bildunterschrift die Bildanalyse erschwert oder ad absurdum führt.
Um eine Karikatur (oder ein Bildmedium überhaupt) verstehen zu können, muss den Schülern neben dem nötigen Sachwissen über das karikierte Ereignis, den karikierten Sachverhalt bzw. die karikierten Personen auch das nötige Handwerkszeug zur Analyse eines Bildmediums vermittelt werden. Hierbei können die Fächer Geschichte, Politik/PW und Bildende Kunst hervorragend miteinander kooperieren. Ohne die Verbindung der Komponenten Sachinformation und Analysetechniken werden die Schüler kaum in der Lage sein, die in der bildlichen Darstellung befindliche Botschaft zu verstehen.
Um die Arbeit mit Karikaturen im Geschichtsunterricht (der Sek. I) zu systematisieren und zu erleichtern, schlage ich folgende Schrittfolge vor, die ich auch bereits erprobt habe.
methodische Arbeitsschritte:
1. Beschreibe die in der Karikatur abgebildeten Einzelheiten (AFB I).
- Nenne Personen, die zu erkennen sind und beschreibe ihr Aussehen (Körperfigur, Kleidung, Haare, Gesichtsausdruck).
- Nenne Gegenstände, die zu erkennen sind und beschreibe, wie sie verwendet werden.
- Nenne Handlungen oder Tätigkeiten, die zu erkennen sind und beschreibe, wer sie ausführt.
- Gib den in der Karikatur dargestellten Texte wieder, z. B. in Sprechblasen, als Über- oder Unterschrift.
2. Erläutere die Bedeutung der abgebildeten Einzelheiten (AFB II).
- Erkläre, welche Bedeutung die Personen, Gegenstände und Handlungen haben.
- Erkläre auf welche Bildteile sich die Texte beziehen.
3. Stelle die Kritik des Karikaturisten in Bezug auf die dargestellte Situation oder das Ereignis in eigenen Worten dar (AFB I-III).
- Ordne die Karikatur in eine historische Situation ein oder einem historischen Ereignis zu.
- Erläutere die Meinung des Karikaturisten zu der Situation oder dem Ereignis.
- Diskutiere die Wirkung der Karikatur auf Zeitgenossen.
Diese Methodik stellt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und universelle Anwendbarkeit. Ein erfolgreicher Einsatz hängt von vielerlei Faktoren ab (Klassenstufe, Einführung der Operatoren im Fach Geschichte, historische Thematik usw.). Sicherlich kann bei der Formulierung der Aufgabenteile 1. - 3. und der Hilfsimpulse noch einiges verbessert werden, um den Schülern das Verständnis der Arbeitsanweisungen zu erleichtern. Bei einer Modifikation solle auch darauf geachtet werden, dass die Hilfsimpulse nicht bis ins Unendliche erweitert werden, sondern auf das Wesentliche in einer Karikatur hinweisen.
Schließlich sollte die Methode der Karikaturendeutung, so wie andere Methoden des Geschichtsunterrichts auch, in einer Lerngruppe geübt und evtl. mit den Schülern verbessert werden.
Herr Hager (2012/2020)
Abbildungen:
1) Botschaften: Erwachet! - Pennt ruhig weiter! - Karikatur von Jürgen Janson als Beispiel einer personalen Typenkarikatur (s. u.).
2) "Matrix" zur Kategorisierung von Karikaturen; Abbildung 2 leicht modifiziert aus: Wolfgang Marienfeld, Politische Karikaturen, in: Geschichte lernen, Heft 18 (November 1990), S. 18.
3) Karikatur von Hanns Erich Köhler, 1949 - Beispiel einer personal-typisierenden Prozesskarikatur.
Literaturhinweise:
Peter Gautschi, Umgang mit Karikaturen im Geschichtsunterricht, in: lehrmittelverlag-zuerich.ch.
Hans-Jürgen Pandel, Karikaturen. Gezeichnete Kommentare und visuelle Leitartikel, in: Hans-Jürgen Pandel und Gerhard Schneider (Hg.), Handbuch Medien im Geschichtsunterricht, Schwalbach/Ts. 2005, S. 255-276.
Praxis Geschichte: Politische Karikaturen, Heft 1/2004.
Joachim Rohlfes, Geschichte und ihre Didaktik, 2. Auflage, Göttingen 1997, S.335.
Herbert Uppendahl, Möglichkeiten des Einsatzes von Karikaturen, in Hans-Jürgen Pandel und Gerhard Schneider (Hg.), Handbuch Medien im Geschichtsunterricht, Düsseldorf 1985, S. 459-492.
Anmerkungen:
[1] Wolfgang Marienfeld, Politische Karikaturen, in: Geschichte lernen, Heft 18 (November 1990), S. 16-18.
[2] Wolfgang Marienfeld, Die Geschichte des Deutschlandproblems im Spiegel der politischen Karikatur, Bonn 1991, S. 7.
[3] Dietrich Grünewald, Karikatur im Unterricht, Weinheim, Basel 1979.
[4] Heribert Sangs, Die Karikatur. Didaktische Hinweise zu Einsatzmöglichkeiten im Unterricht, Darmstadt 1985.